ΓΙΓΝΩΣΚΕ ΚΑΙΡΟΝ  –  Erkenne den passenden Augenblick

(Pittakos aus Mytilene)                                          

Genau das war das entscheidende Problem. Wann ist in diesen Pandemie-Zeiten der passende Zeitpunkt, um auf Reisen zu gehen? Eigentlich gar nicht, oder?

Schon im Juni 2019 hatte sich eine Gruppe von Kollegen und Kolleginnen des AAG zusammengefunden, um gemeinsam nach Griechenland zu fahren. „Griechisch-AG“ nannte sich im wahrsten Sinne des Wortes vollmundig eine Lehrertruppe, die sich in schöner Regelmäßigkeit nach den meisten Konferenzen in ihrem Stammlokal „Poseidon“ trifft und alles Wichtige bei Zaziki und Ouzo ausdiskutiert. „Griechisch-AG“… dabei : Wer konnte schon mit Sicherheit das Brandenburger Tor vom Eingangstor zur Akropo0lis unterscheiden? „Na los! Wenn ihr schon glaubt, es besser zu wissen, dann lasst uns doch hinfahren zur Akropolis! Schauen wir sie uns mal in echt an!“

Das war damals der Startschuss gewesen. Tatsächlich fand sich im Kollegium eine Gruppe von insgesamt 29 Interessierten, die Lust hatte, in den Osterferien 2020 gemeinsam für neun Tage eine Griechenlandreise zu unternehmen. Groß war der Elan: An vier Vorbereitungsabenden übten wir uns in der griechischen Schrift, machten uns mit der griechischen Geschichte vertraut, mit den wechselhaften Bauphasen der Akropolis, dem Orakel von Delphi, den Eigenarten des griechischen Theaters in der Antike und natürlich – für die Sportler – mit der Anlage von Olympia. Die Stimmung war gut, alles freute sich, bis die dunklen Wolken aus China heraufzogen: Am 22.3. begann der erste Corona-Lockdown, eine Woche später hätten wir losfahren wollen. Die Reise musste abgesagt werden. Es war wirklich nicht der passende Augenblick.

Und nun? Jetzt hatten wir fürs erste alle genug mit uns selbst zu tun. Jeder wollte ja möglichst gesund bleiben, die Homeschooling-Phase forderte viel Kraft, da war an Reisen erst einmal nicht zu denken. Aber aufgeben wollten wir auch nicht. Da wir dank albaTours fast alle Kosten der ersten Buchung erstattet bekommen hatten, wagten wir uns im Sommer 2021 an einen zweiten Anlauf: Wer fährt mit ? Wer hat in den Osterferien 2022 noch Zeit und Lust? Ok, Lust schon. Aber Zeit? Bei etlichen der ursprünglichen Teilnehmer hatten sich inzwischen die privaten Pläne verändert – nicht der passende Augenblick, schade! Dann kamen natürlich auch Bedenken dazu: Wer kann denn sagen, wie im April 2022 die Corona-Lage aussieht, welche Impfvorschriften es gibt, ob die antiken Stätten und Hotels überhaupt geöffnet sind? Egal, wir versuchen es. Wer kommt mit?

21 Reisewillige stiegen schließlich am 4.4.2022 ins Flugzeug nach Athen, 16 Kollegiumsmitglieder und 5 Partner. Bei erneuten vier Abenden zur Vorbereitung hatte die Gruppe schon etwas zusammenwachsen können: Jeder konnte inzwischen die Speisekarte in griechischen Buchstaben entziffern – zumindest die Getränkeliste -, wir hatten zusammen als Generalprobe für Argos eine Passage aus Sophokles‘ „Antigone“ im Treppenhaus der Schule rezitiert (im Chor wird jeder gebraucht!), auch die Anfragen an das Orakel in Delphi waren gestellt, nun konnte es losgehen.

Zu unserem großen Glück hatte sich die Corona-Lage inzwischen etwas beruhigt. Man musste zwar Impfnachweise vorweisen können und in Innenräumen herrschte Maskenpflicht, aber daran hatten wir uns ja schon gewöhnen müssen. In Athen angekommen, begrüßte uns unser Hotel in der Nähe des Monastiraki-Platzes gleich mit einem fantastischen Ausblick von der Dachterrasse auf die Akropolis. Da konnte man sich schon auf den nächsten Tag einstimmen: Unter fachkundiger Führung einer Archäologin und Kunsthistorikerin haben wir den Akropolisfelsen, das dazugehörige Museum und das Nationalmuseum erkundet. Ein steiles Programm, aber was für ein interessanter Tag!

Da wir insgesamt nur neun Tage zur Verfügung hatten, mussten wir ja auch sehen, dass wir weiterkommen: Zu den anderen Ausgrabungsstätten ging es mit einem Bus weiter. Mit Zwischenstopp beim byzantinischen Kloster Hosios Loukas kamen wir zur Kultstätte nach Delphi, wo die Pilger sich in einem kleinen Hotel auf die Weisheiten des Orakels am kommenden Tag einstellen konnten. Doch bis zur Verkündung der Orakelsprüche musste ein langer Weg bewältigt werden: Vom Heiligtum der Athena Pronaia bis zum Stadion sind etliche Höhenmeter zurückzulegen. Wo genau saß die Pythia? Woher kam ihre Inspiration? Wir konnten sie leider nicht mehr persönlich sprechen, aber trotzdem wurden alle Anfragen nach dem besten Zeitpunkt, um die eigene Hochzeit zu feiern, nach der Geburt des ersten Enkelkindes, nach den Kriterien für einen Arbeitsplatzwechsel oder auch danach, ob es besser sei, ein zurückgezogeneres Leben zu führen, nach bestem Wissen und Gewissen beantwortet. „Erkenne dich selbst!“ Na eben.

In Olympia bestaunten wir die schönen Giebelfelder des Zeustempels und konnten bei wunderschönem Frühlingswetter durch das blumenübersäte Heiligtum streifen. Zu einem Start im Olympia-Stadion waren die Herren Sportlehrer allerdings nicht zu bewegen…

Nächster Halt: Nafplio, erste Hauptstadt des modernen Griechenlands 1829-1834. Hier kamen alle auf ihre Kosten: Wer wollte, stieg auf die Burg Palamidi, andere gingen im Golf von Argolis schwimmen, wieder andere ließen sich shoppend durch die engen Gässchen treiben. So sind Ferien! Wichtigster Punkt: Das wunderbare Essen auf dem Syntagma Platz, das für manches entschädigte, was voher kulinarisch weniger gelungen schien.

Und man musste ja auch fit sein für den Abstecher ins Theater von Argos, wo die Premiere der AAG-Aufführung des Botenberichts aus Sophokles‘ „Antigone“ auf die (noch andeutungsweise erhaltene) Bühne kam. Herr Scharf (Bote) und Herr Schultz (Kreon) glänzten in den Hauptrollen, alle anderen waren dem kommentierenden Chor zugeteilt.

Neben dieser szenischen Darstellung wurde als Vorbereitung auf den Besuch in Mykene noch der Mythos der Orestie vorgelesen. Denn wieso erprobt man in einem antiken Theater immer nur die Akustik und nicht auch die Härte der Sitzplätze?

Mykene, der antike Kurort Epidauros mit seinem Theater – da waren wir dann schon wieder am Ausgangspunkt Athen angelangt und hatten noch einen Abend lang Zeit, um auf dem Philopappos-Hügel Abschied von Athen und seiner Akropolis zu nehmen.

Seid ihr verrückt, in den Ferien noch mit Kollegen in Urlaub zu fahren?

Nee, wieso? Klasse war’s! Wie sagte Nicole: „Klassenfahrt für Lehrer habe ich mir schon immer mal gewünscht!“ Und es war der passende Augenblick.

Gesine Schön